„Das ist ja gruselig, was da passiert“, so eine Besucherin nach dem Ende der Premiere des Musicals „Einer flog über das Kuckucksnest“ im Gymnasium Farmsen. Es war das Ende einer Folge von Ereignissen in einer psychiatrischen Anstalt im Nordwesten der USA. Häuptling Bromden – mit sichtbarem Ausdruck von Verzweiflung und Mitleid – erstickt mit einem Kissen Randle McMurphy, den großen Widersacher der Ordnung in dieser Anstalt – eine Lobotomie hat ihn seiner Persönlichkeit beraubt. Er kann sein Leben nur noch im komaähnlichen Zustand verbringen. Dies will ihm Bromden ersparen.

Die Konstellation in dieser „Klinik“: Da ist die machtbewusste Oberschwester Ratched, Leiterin mit ihrem abhängigen Apparat Dr. Spivey, zwei Hilfs-schwestern und den beiden Wärtern. Sie will ihren Herrschaftsanspruch gegenüber den Patienten auch mit den letzten medizinischen Mitteln in der Psychiatrie durchsetzen. Die Insassen – alle angeknackst, aber irgendwie heilbar. Dazu Randle P. McMurphy, mehrfacher Straftäter und diesmal vom Richter zu seiner Freude in die Heilanstalt eingewiesen, kann er doch „Hacke und Spaten“ im Gefängnis entkommen.

McMurphy, ein exzentrischer Charakter mit anarchistischen Neigungen, fühlt sich gleich nach seiner Einweisung durch die Vorschriften in der Anstalt provoziert. Dazu gehören Duschpflicht, zwangsweise Medikamenteneinnahme, Arbeitspflicht, eine fragwürdige Gruppen-therapie, die das Verhalten der Insassen untersucht. Er inszeniert gegen den Willen von Schwester Ratched eine imaginäre Baseball-Fernsehshow im Aufenthaltsraum. Und er fragt, weshalb die Mitinsassen keine „Eier“ haben, sich zu wehren. Am Ende initiiert er eine wüste Partynacht mit Alkohol und Prostituierten. Schwester Ratched ordnet nach einer wirkungs-losen Elektroschocktherapie eine Lobotomie an – eine Gehirnoperation, um ihn für immer mundtot zu machen.

„Nach den heiteren Musical-Inszenierungen der vergangenen Jahre wollten wir mit der Entscheidung für „Einer flog über das Kuckucksnest“ versuchen, ein ernstes Thema mit den Mitteln des Musicals zu gestalten“, so Rainer Vodegel vom Leitungsteam der Musical AG am Gymnasium Farmsen. Dazu musste die Textvorlage von Dale Wassermann auf eigene Voraus-setzungen hin verändert werden. Und auch: Es mussten Songmusiken gefunden und Songtexte geschrieben werden – diese musikalischen Akzente machen die Handlung zum Musical. Das „Kuckucksthema“ als Musical? – Ein Experiment.

Die jungen Musical-Schauspieler haben das Verstörende in den Ereignissen in der psychiatrischen Anstalt überzeu-gend dargestellt. Auch bei scheinbar lustigen Momenten gefror dem Zuschauer schnell das Lächeln. Die ansteigende Dramatik bei fort-schreitender Handlung ließ die Zuschauer das böse Ende ahnen. Mehr als zwei Stunden lang die Rolle eine mental Gestörten ohne Schwankungen zu spielen – eine beachtliche Leistung.

Besonders bemerkenswert aber die Leistungen der solistischen Sänger, die mit ihren langen Songs Einzelthemen des Geschehens wie die Medikamen-tenfrage, die Folterfreude der Schwester Ratched und den Tod von McMurphy paraphrasierten und so vom Musika-lischen her starke Akzente setzten. – Die Antwort auf das Experiment: Anhaltender, auch nachdenklicher Beifall – gelöste, fröhliche Schauspieler. Schulleiter Geest lobte das starke Spiel der Schauspieler, der Sänger – aber mit der klaren Erinnerung, dass solche großen, einmaligen Erfahrungen nur durch überstarkes Engagement ihrer Lehrer Martin Möller, Rainer Vodegel und Judith Hensen möglich sind.

Reinhard Meyer, erschienen in Hamburg Nordost 4/2018